Rezensionen - Theater, Oper, Musical
Wie wird es weitergehen?
Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" stellt die
Existenzfrage am Ende
des zweiten Jahrtausends- zeitgemäße Inszenierung

In Münster scheint der Geist von Bayreuth zu wehen. Voller Euphorie schreibt die Münstersche Zeitung im Anschluss an die Premiere von "Rheingold": Man muss nicht mehr in die Ferne schweifen, um guten Richard Wagner zu erleben. Mit dem 'Rheingold' gab Münsters Musiktheater einen bejubelten Einstand in das ehrgeizige Projekt, bis 2001 die ganze Tetralogie 'Der Ring des Nibelungen' aufzuführen. Eine geschickt abstrahierende Inszenierung, ein hochklassiges Vokalensemble, ein sängerfreundliches Dirigat: Im Großen Haus blieben kaum Wünsche offen." Erstmals nach neunzig Jahren wird es in der Spielzeit 2000 / 2001 wieder eine zyklische Aufführung des "Rings" in Münster geben. Zuletzt war die gesamte Tetralogie in der Saison 1911 / 12 im damaligen Lortzing-Theater zu sehen.

Richard Wagner ist selber nie in Münster gewesen. Allerdings gibt es eine Verbindung zwischen den ersten beiden Musikdramen des "Ring" und der westfälischen Hauptstadt: Auf Anordnung von Ludwig II., dem Wagner die Partituren der ersten beiden Werke der Tetralogie geschenkt hatte, sollten die beiden Musikdramen "Das Rheingold" und "Die Walküre" in München zur Uraufführung gelangen. Mit der musikalischen Einstudierung wurde Franz Wüllner betraut, der 1832 in Münster geboren wurde.

"Hände weg von meiner Partitur!"

Zunächst war Franz Wüllner Chordirektor an der Hofoper in München, wurde aber schließlich als Kapellmeister Nachfolger des bekannten Wagner-Interpreten Hans Richter. Dieser hatte auf Wagners Drängen die musikalische Leitung abgegeben, sollte aber 1876 die Uraufführung der gesamten Tetralogie im Bayreuther Festspielhaus leiten. Wagner reagierte empört auf den Versuch, "Das Rheingold" und "Die Walküre" außerhalb der gesamten Tetralogie zur Uraufführung zu bringen, und forderte den westfälischen Dirigenten in einem wütenden Brief auf: "Hände weg von meiner Partitur!". Wüllner behielt trotzdem die Nerven und brachte die zwei Werke zur Uraufführung. Vor allem die "Walküre" wurde zu einem großen Triumph beim Münchener Publikum. Heute erinnert in Münster an den Dirigenten Wüllner noch eine nach ihm benannte Straße im Kreuzviertel.

Größte Herausforderung der Städtischen Bühnen

Die Neuinszenierung des "Ring" stellt die größte Herausforderung der Städtischen Bühnen Münster unter der Leitung des Generalintendanten Thomas Bockelmann dar. Allerdings kann die künstlerische Leitung auf der engagierten Leistung des ambitionierten Ensembles aufbauen. Die Regie bei der Münsterschen Tetralogie führt Peter Beat Wyrsch, Oberspielleiter des Musiktheaters. In der vergangenen Spielzeit inszenierte dieser in Münster mit dem "Parsifal" erstmals ein Musikdrama des Bayreuther Meisters, nachdem er schon großen Erfolg mit einer Kurzfassung des "Ring" für einen Abend desselben Komponisten mit der Pocket Opera Company aus Nürnberg hatte.

Für die Bühne zeichnet der international renommierte Bühnenbildner Roland Aeschlimann verantwortlich. Sein abstraktes, puristisch anmutendes Bühnenbild dürfte mit seiner ausgefallenen Mechanik und seinen vielfältigen Möglichkeiten weithin Beachtung finden. Die Kostüme hat Renate Schmitzer entworfen, die zuletzt bei der Produktion der Ligeti-Oper "Le Grand Macabre" Gast an den Städtischen Bühnen war.

Die Partie des Wotan im "Rheingold" wird als Gast an den Städtischen Bühnen der Bassbariton Ralf Lukas singen. Ralf Lukas, der zur Zeit an der Deutschen Oper Berlin engagiert ist und dort auch als Beckmesser und Heerrufer im "Lohengrin" zu hören war, hatte sich in der vergangenen Spielzeit bereits als Gast in einer Aufführung von Giuseppe Verdis "La forza del destino" als Fra Melitone dem münsterischen Publikum vorgestellt.

Der "Ring" - eine Bestandsaufnahme
Der "Ring" gehört zu den größten Unternehmungen der Theatergeschichte, vergleichbar nur mit Goethes "Faust" und der "Orestie" des Aischylos. In seinen vier Werken - "Das Rheingold", "Die Walküre", "Siegfried" und "Götterdämmerung" - breitet Richard Wagner "den ganzen Kreis der Schöpfung aus" - der "Ring" als Welt-Theater. Über 26 Jahre hat Richard Wagner an seiner Version des Nibelungenmythos gearbeitet. Dabei hat er es wie kaum ein anderer Komponist des ausgehenden Jahrtausends verstanden, gesellschaftspolitische Fragen seiner und auch unserer Zeit in einem Werk zusammenfließen zu lassen und zu verdichten. Sein "Ring des Nibelungen" ist die Bestandsaufnahme vom Beginn und Verfall der bürgerlichen Gesellschaft.

Fragen am Ausgang des neuen Jahrtausends
Das "Rheingold" ist ein Drama vom Beginn der Welt und dem Anfang einer Zivilisation. Dieser Anfang birgt schon das Ende. Doch das Ende führt keineswegs zum Anfang zurück. Der handelnde Mensch hat in die Natur eingegriffen. Der zurücktretende Rhein gibt am Ende der "Götterdämmerung" die Trümmer einer Welt frei. Nichts ist, wie es am Anfang einmal war, auch wenn alles wieder an seinem Platz zu sein scheint. Am Ende steht die Ratlosigkeit der überlebenden Menschen. Damit wird auch die brennende Frage am Beginn des neuen Jahrtausends aufgeworfen: Wie wird es weiter gehen?