Der
Sprung nach Düsseldorf wäre damals ein
Leichtes gewesen. Doch er entschied sich für
Münster. Hier lebt er auch heute noch, obwohl
die Zeit, als Ludwig Poullain im Rampenlicht stand
gut drei Jahrzehnte zurückliegt. Vor rund
40 Jahren baute der ebenso kreative wie streitbare
Bankier eine Burg, die zur drittgrößten
Festung der deutschen Kreditinstitute wurde: Die
Westdeutsche Landesbank.
Risiken
hat der ehemalige Vorstandsvorsitzende der WestLB
nie gescheut. Für den Vordenker mit Weitblick
zählten stets nur echte Reformen. Der neumodische
Titel Banker passt somit so wenig zu Poullain
wie ein Trabi zu Jürgen Schrempp. Die mangelnde
Risikobereitschaft der grauen Herren mit den
Taschenrechnern kann er nicht verstehen. "Banker
sind Typen, die von Vornherein alles besser
wissen, auch auf Fachgebieten, von denen sie
nichts verstehen." Ihr allzu begehrliches
Schielen nach den lukrativen Sprüngen auf
dem Aktienmarkt hält er als alleiniges
Motiv für gesellschaftlich unverantwortlich.
Er
selbst sieht sich rückblickend mehr als
Unternehmer. "Investitionen haben immer
mit Risiken zu tun. Wer sagt denn, dass sie
etwas schlechtes sind. Als Unternehmer habe
ich sie einzukalkulieren." Poullain appelliert
heute mehr denn je an den unternehmerischen
Auftrag seiner Zunft. Dennoch ist Poullain mit
dem Alter kein Besserwisser geworden, obwohl
er mit seinen 83 Jahren Lebenserfahrung meistens
mehr weiß, als so manche Vorstände
im Sechserpack.
Besonders
kritisch wurde es für Poullain immer dann,
wenn er besonders kritisch wurde. Seine offene
Kritik in den Medien war den Politikern stets
ein Dorn im Auge gewesen, der nicht nur an der
Oberfläche kratzte. So bat ihn 1977 der
damalige Ministerpräsident Kühn in
einem Gespräch unter vier Augen, seine
Kritik an Bundeskanzler Helmut Schmidt und dessen
Wirtschafts- und Finanzpolitik für sich
zu behalten. Der Chef der WestLB ließ
sich aber nicht den Mund verbieten - und musste
gehen. Heute wären die eine Million Mark,
über die er offiziell stolperte, "nicht
einmal ein Grund zur Ermahnung", stellt
Poullain trocken fest. "Ein falsch frankierter
Brief hätte damals genügt, und ich
wäre weg gewesen."
Seine
steile Laufbahn vom Praktikanten bei der Remscheider
Sparkasse zum Vorstandsvorsitzenden in Münster
hatte ihm 1965 auch das Nebenamt als Präsident
des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes
eingebracht. "Dieses Nebenamt war nach
einer Zeit sogar bedeutender als mein Hauptamt",
merkte Poullain schnell. Dadurch hatte er Einfluss
auf die Politiker, denen er selbst die Tür
wies.
Dass
er dieses Amt freiwillig abgab, um mehr Zeit
für seine Mitarbeiter zu haben, bezeichnet
Poullain heute als "Riesenfehler".
Aus dem Nebenamt wurde fortan ein Hauptamt,
und so verlor es an Gewicht. Schließlich
hatten seine Nachfolger kein Standbein mehr
im Bankwesen. Die Reformen, die Poullain in
Gang gebracht hatte, verkamen zu den Reförmchen,
die ihm stets zu wenig waren. Vorerst sollte
es nichts werden mit der Privatisierung der
Sparkassen und anderer staatlicher Kreditinstitute.
Erst
seit einem Jahr ist die WestLB eine AG, nachdem
Brüssel das Wettbewerbsprivileg gegenüber
den Privaten brandmarkte. "Wäre ich
im Amt geblieben, wäre die Bank seit 20
Jahren privatisiert", ist sich Poullain
sicher. Dass das mit einem höheren Risiko
verbunden ist, ist dem Entscheider bewusst.
Wettbewerb jenseits der Politik, das ist seine
Sache.
So
verwundert es nicht wirklich, dass Poullain
nach seinem Abschuss als gefragter Berater großer
Unternehmen im Hintergrund die Strippen zog.
Einer seiner Mandanten war Max Grundig, der
ihn an seiner Seite haben wollte. "Da habe
ich viel gelernt", gibt sich der Meister
als Schüler. Vor dem Untergang konnte aber
auch er Grundig nicht retten. Seine strategischen
Ratschläge kamen zu spät.
Neben
Grundig zählten auch Mediengrößen
wie Axel C. Springer und Leo Kirch zu Poullains
Bekanntenkreis. Kirch, mit dem er immer noch
freundschaftlich verbunden ist, wollte ihn einst
gar als seinen persönlichen Berater verpflichten.
Poullain gab der Zusammenarbeit eine halbjährige
Probezeit, bis er feststellte, dass Kirch selbst
ihm nicht alles sagte. Da nahm er seinen Hut.
Poullain
hingegen ist seinem Freund Leo Kirch gegenüber
immer offen gewesen. Erst kürzlich sprach
er in einem Gespräch unter vier Augen Tacheles
mit ihm und tadelte ihn, zu wenig auf kritische
Fachleute gehört zu haben: "Leo, du
bist beratungsresistent!" Die Ja-Sager,
die der Medienmogul um sich geschart hatte,
sieht Poullain als die eigentlichen Architekten
des Kirch-Desasters an.
Bereitschaft
zum Rückzug, Verantwortungsbewusstsein
und der Blick in die Zukunft, dass ist es, was
Poullain fordert - und ausmacht. Als Aufsichtsratsvorsitzender
erklärte er einem Vorstandsvorsitzenden
einst seine Arbeitsphilosophie: "Meine
Aufgabe ist es, Ihnen den Rücken frei zu
halten. Das setzt voraus, dass ich alles weiß",
stellte Poullain klar. "Gute Nachrichten
will ich abends bei einem Whisky hören,
schlechte nie als erstes in der FAZ lesen!"
Auch
das Stadtbild Münsters hat Poullain entscheidend
mitgeprägt. Mitte der Sechziger regte er
die Fusion der ehemalig selbstständigen
"Landesbank für Westfalen" und
des rheinischen Schwesterinstituts an. Die Bausparabteilungen
zogen daraufhin in den Siebzigern in das futuristische
LBS-Gebäude an der Himmelreich-Allee. Der
alte Zoo, zuvor an dieser Stelle angesiedelt,
musste an die Peripherie weichen, was schließlich
auch die Vergrößerung des Aasees
zur Folge hatte. Als seine Pläne damals
bekannt wurden, blies ihm ein Sturm der Entrüstung
entgegen, der in der ganzen Republik zu vernehmen
war. Poullain floh in den Skiurlaub und wartete
ab bis sich die Wogen geglättet hatten.
Seitdem
hat sich einiges geändert in Münster.
Bei Ludwig Poullain auch. Der vitale Geschäftsmann
hat zwar immer noch viele Fäden in der
Hand. Doch am liebsten lässt er die Leinen
los und hisst die Segel. Auch mit 83 ist Poullain
der Kapitän auf seinem eigenen Schiff.
Sein Blick fixiert dabei fest den Horizont.
Dort will er hin.
Ludger
Voetz
Dr. Jörg Bockow
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